
Omar El Akkad und One Day, Everyone Will Have Always Been Against This
- Frank Börner
- 26. Feb.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 3. März
In einer Zeit, in der die Welt von Krisen überrollt wird und die Geschichten der Opfer oft in einer Flut von Schlagzeilen verloren gehen, erhebt Omar El Akkad erneut seine Stimme – und zwar auf eindringliche, unvergessliche Weise. Sein neuestes Werk One Day, Everyone Will Have Always Been Against This ist kein einfacher Roman, sondern ein leidenschaftlicher Aufruf an die Welt, sich den Realitäten der humanitären Krise in Gaza und der Rolle des Westens zu stellen. Doch dieses Buch ist weit mehr als eine Analyse der Politik: Es ist ein Fenster in die tiefsten Abgründe menschlicher Erfahrung und ein Spiegel der westlichen Wahrnehmung – oder vielmehr der westlichen Gleichgültigkeit.
Omar El Akkad ist ein Autor, der seine Werke mit einer seltenen Kombination aus journalistischer Präzision und literarischer Sensibilität gestaltet. Geboren in Ägypten, aufgewachsen in Kanada und geprägt durch seine Arbeit als Kriegsberichterstatter, hat er ein besonderes Gespür dafür entwickelt, wie Geschichten erzählt – und wie sie verdrängt werden. Seine früheren Bücher, insbesondere American War und What Strange Paradise, machten dies bereits deutlich. Mit One Day, Everyone Will Have Always Been Against This geht El Akkad nun noch weiter und lotet die Schnittstellen von Politik, Medien und Moral aus.
Die tiefere Ebene: Simpel ist hier nichts
Was an diesem Buch sofort auffällt, ist sein ungewöhnlicher Ansatz. Es ist weder ein geradliniger Essay noch ein rein literarisches Werk, sondern eine kraftvolle Mischung aus beiden. El Akkad beschränkt sich nicht darauf, Statistiken oder historische Daten zur Krise in Gaza aufzuzeigen. Vielmehr lenkt er die Aufmerksamkeit auf die Art und Weise, wie Narrative geschaffen werden – auf die wortlose Heuchelei, die in der internationalen Reaktion auf Gaza offensichtlich wird. Warum wird Gewalt ignoriert, bis sie politisch inconvenient wird? Warum werden Opfer zu Zahlen, ihre Geschichten unsichtbar gemacht?
Zugleich zerlegt er das Phänomen der Rückschau: Die Vorstellung, dass "man immer schon dagegen war". Der Titel des Buches spielt auf diese Haltung des Westens an, die sich gerne moralisch sauber rechtfertigt, sobald genügend Zeit vergangen ist – ohne Verantwortung für unterlassene Hilfe, Tatenlosigkeit oder stillschweigendes Mitwirken zu übernehmen.
Gaza als Mikrokosmos – und Spiegelbild
Gaza ist eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt, ein Ort, der von Blockaden, Konflikten und schier grenzenlosem Leiden geprägt ist. Bei einer solchen Thematik ist es leicht, sich in der Tragweite des Problems zu verlieren. Doch Omar El Akkad gelingt es, diese Tragödie durch persönliche Geschichten greifbarer zu machen, während er gleichzeitig die globalen Strukturen und Machtspiele sichtbar macht. Er zeigt uns, wie diese Region nicht nur als geographisches Elend existiert, sondern auch als ein Schlüsselloch, durch das wir die Untätigkeit und die moralischen Dilemmata des Westens beobachten können.
Dabei macht er eines deutlich: Diese Krise ist nicht "deren Problem". Sie zeigt uns vielmehr, wie die Welt als Ganzes funktioniert – wer gehört wird und wer nicht, wer geschützt wird und wer nicht.
Omar El Akkad: Der Chronist der Unsichtbaren
Was dieses Buch und sein Autor so wichtig machen, ist El Akkads Fähigkeit, die Stimmen derjenigen zu verstärken, die oft an den Rand gedrängt werden. Diese Menschen bewohnen keine elitäre Welt der geopolitischen Analysen, und doch sind es letztlich sie, die die direkten und oft katastrophalen Folgen der Entscheidungen erleiden.
Seine frühere Arbeit macht deutlich, wie gut er diese Agenda versteht. In American War erzählte er die Geschichte einer zukünftigen, dystopischen Version der Vereinigten Staaten, die jedoch unmissverständlich eine Metapher für echte Kriege und ihre Folgen war. In What Strange Paradise führte er uns durch die Augen eines Kindes auf eine Flucht, die eindimensional hätte wirken können, in seiner Darstellung jedoch unerträglich real erschien. Und nun stellt er sich Gaza – wiederum mit der Gabe, die Menschen hinter jeder Statistik sichtbar zu machen.
Warum dieses Buch jetzt wichtig ist
Die Veröffentlichung von One Day, Everyone Will Have Always Been Against This kommt zu einem Zeitpunkt, in dem die Welt mehr denn je dazu neigt, Konflikte wie den in Gaza in den Hintergrund zu rücken. Andere Krisen überdecken die alten. Globale Müdigkeit gegenüber solchen Themen ist ein reales Phänomen. Doch El Akkads Werk reißt uns aus dieser Trägheit heraus und ruft uns ins Gedächtnis: Wir dürfen uns nicht damit zufrieden geben, selektiv hinzusehen. Dieses Buch ist kein angenehmes Leseerlebnis, aber das will es auch gar nicht sein. Es will uns dazu zwingen, uns zu fragen: Was genau treibt mich an, wenn ich einem Leid mehr Aufmerksamkeit schenke als einem anderen? Wie werde ich in der Geschichte von morgen dastehen?
Fazit: Ein schmerzhafter, aber notwendiger Weckruf
Omar El Akkad hat sich mit One Day, Everyone Will Have Always Been Against This erneut als eine der herausragenden Stimmen unserer Zeit etabliert. Es ist ein Buch, das nicht nur liest, sondern fordert – und das ist vielleicht genau das, was wir jetzt brauchen. El Akkad erinnert uns daran, dass es am Ende immer die Geschichten der Menschen sind, die zählen. Und dass wir unsere Rolle in diesen Geschichten nie unterschätzen sollten.
Seine Werke mögen fordern, uns verstören und uns unangenehme Wahrheiten vor Augen führen, aber genau darin liegt ihre Größe. Sie lassen uns die Welt anders sehen – und wenn wir Glück haben, helfen sie uns vielleicht, sie ein bisschen besser zu machen.




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